Für einen Workshop beschäftige ich mich mit dem Thema OER-Policy für Hochschulen und teile hier mein Material. Es ist als Entwurf für eine Dokumentation gedacht und hat den Charakter eines Living Documents. Feedback ist darum erwünscht 🙂
Grundlagen: Open Education und Open Educational Resources (OER)
Öffnungsbewegungen kommen seit vielen Jahren über die Hochschulen. In den 1960er und 1970er-Jahren gründeten sich Open Universities mit einer Politik der offenen Tür, d.h. es gibt keine oder nur minimale Bedingungen für die Aufnahme. Die FernUniversität in Deutschland bietet beispielsweise Möglichkeiten zum Studium ohne Abitur an, ohne eine eigenständige Open University zu sein.
Mit dem Bund-Länder-Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ wurden von 2011 bis 2020 viele Hochschulen bei der Entwicklung und Implementierung von Projekten mit insgesamt 250 Mio. Euro gefördert. Dabei ging es um die Steigerung der Bildungschancen für alle Bürger:innnen. Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung sollte verbessert werden und das Fachkräfteangebot dauerhaft gesichert.
Die Öffnung der Bildung fand auf sehr unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Mittel statt. Ein gemeinsamer Nenner ist dabei das Internet, bzw. digitale Technologien, mit denen sich der Zugang zu Wissen und die Vernetzung von Lernenden besser als zuvor schaffen lässt.
In den Definitionen von Open Education wird dieser Zusammenhang von Bildung und Technologien entsprechend betont.
Open Education “Ist eine Art der Durchführung von Bildung, oft unter Verwendung digitaler Technologien. Ihr Ziel ist es, den Zugang und die Teilnahme für alle zu erweitern, indem sie Barrieren beseitigt und das Lernen für alle zugänglich, reichhaltig und individuell anpassbar macht. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten, zu lehren und zu lernen, Wissen aufzubauen und zu teilen. Es bietet auch eine Vielzahl von Zugangswegen zu formaler und nicht-formaler Bildung und verbindet diese beiden.
Opening up Education. A Support Framework for Higher Education Institutions. JRC Science for Policy Report, 2016
Bei offener Bildung geht es zunächst um eine Änderung der Denkweise in Richtung Offenheit, die dann auf verschiedenen Wegen in die Praxis umgesetzt werden kann, wobei einige digitale Technologien und andere einfach eine Änderung der Einstellung erfordern.
Going Open. Policy Recommendations on Open Education in Europe. JRC Science for Policy Report, 2017
Open Education lässt sich als Dachbegriff für eine Vielzahl von Ansätzen verstehen, darunter OER, Open Educational Practices (OEP), MOOCs, Open Access. Wichtig ist zu verstehen, dass Offenheit keine absolute Bezugsgröße, sondern eine relative darstellt und oft umstritten bzw. kontrovers diskutiert wird. Für eine Annäherung an Offenheit im Kontext der Hochschule bietet sich folgende Übersicht an.
Für OER gibt es seit einiger Zeit auch eine weitgehend akzeptierte Definition.
OER sind Lern-, Lehr- und Forschungsmaterialien in beliebigem Format und Medium, die gemeinfrei sind oder unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, die den kostenlosen Zugang, die Wiederverwendung, die Umwidmung, die Anpassung und die Weiterverbreitung durch andere erlauben.
UNESCO Recommendations on Open Educational Resources (OER), 2019
OpenEdu Framework
Open Education ist ein diskursives Konstrukt, das so unterschiedlich ausgeprägt sein kann und es schwer macht, einen gemeinsamen Nenner zu erkennen. Um es etwas griffiger zu machen wurde das OpenEdu Framework entwickelt und unterscheidet Kern- und Querschnittdimensionen der Öffnung von Bildung:
- Kernbereiche umfassen das „Was“ in der Bildung: Inhalte, Pädagogik, Kollaboration, Forschung, Zugang und Recognition (Anerkennung / Anrechnung)
- Querschnittsbereiche betreffen das „Wie“ der Öffnung: Technologie, Qualität, Leadership, Strategie
Zu allen Dimensionen finden sich im Bericht Aussagen zur Selbsteinschätzung von Hochschulen und erlauben so eine Gewichtung und Entwicklungsperspektiven. Hat eine Hochschule einmal Öffnungsdimensionen und das Vorgehen festgelegt und verbindlich niedergeschrieben als Policy (siehe dazu unten), eröffnen sich mit dem Framework Kooperationsmöglichkeiten in gemeinsamen Schwerpunktbereichen. Der OpenEdu Framework will auch deutlich machen, dass die Öffnung von Bildung mehr ist als MOOCs oder OER. Das Experimentieren mit den Dimensionen und Ansätzen ist wichtig, um neue Praktiken in der Hochschulbildung zu etablieren.
Open Education / OER-Policy
Hat eine Hochschule sich auf einen Inhaltsbereich festgelegt (z.B. die Lehre), folgt die Frage des „Wie“ bei der Öffnung. Im OpenEdu Framework wird dies neben Technologie und Qualität mit Leadership und Strategie verbunden. Dabei geht es um die Werte, die mit der Öffnung von Bildung eine Rolle spielen, das Selbstbekenntnis dazu (Commitment), die Gelegenheiten und Ressourcen. Idealerweise ist die OER-Policy in der Mission der Hochschule verankert und knüpft unmittelbar an bestehende Strategien an.
Aber was genau ist eine OER-Policy?
“Open-Education-Policies sind formale Regelungen zur Unterstützung, Finanzierung, Übernahme und Nutzung von offenen Bildungsinhalten und/oder offenen Bildungspraktiken. Solche Richtlinien können viele Formen annehmen, einschließlich der Gesetzgebung von Bundes-, Provinz- oder Landesregierungen, institutionelle Richtlinien und Leitlinien, Förderer-Manuale und Erklärungen von einflussreichen Gremien wie der UNESCO.”
7 Things you should not about Open Education Policies
Es gibt einige zentrale Charakteristika von Policies, so z.B. dass sie normativ sind und ein bestimmtes Verhalten anregen wollen (bei OER das Teilen von Materialien, ohne immer eine direkte Gegenleistung zu erwarten). Policies beziehen sich immer auf eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung („Lehre“) und werden in einem Bezugssystem (Hochschule, Verlag) Top-down (d.h. von der Leitung) schriftlich erlassen. Auch beziehen sie sich auf Routinesituationen, wie das Lehren und Lernen. Sie verfolgen übergeordnete Ziele und entwickeln sich dabei graduell (z.B. von OER zu offenen digitalen Bildungspraktiken).
Warum braucht es eine OER-Policy?
Frage von jemanden der bei einer sehr kleinen Hochschule arbeitet: was bringen solche policies? Es sind drei Empfehlungen mit Rückausnahmen, lässt sich wirklich ein/e Prof davon beeinflussen?
— Sven Störmann (@sven_stoermann) February 25, 2021
Dabei setze ich voraus, dass es eine mehr oder weniger ausgeprägte Überzeugung der Vorteile von OER bereits gibt. Um dann die Nachhaltigkeit von OER innerhalb einer Hochschule zu sichern, ist es essentiell dass es eine Policy gibt. Damit lässt sich ausdrücken, was man sich von OER verspricht: Verbesserung der Qualität der Lehre durch das Teilen von Wissen oder den Wissensaustausch zwischen Lehrenden.
Die OER-Policy ist auch ein wichtiges Mittel, auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen im Bildungsbereich reagieren zu können, wie etwa der Heterogenität der Studierendenschaft oder der Forderung nach mehr Transparenz und Accountability. In einem Beispiel einer Universität in Ghana wurde die OER-Policy als Instrument der Karriereentwicklung von Wissenschaflter:innen genutzt. Darüberhinaus lässt sich mit der OER-Policy die Klärung von Nutzungsrechten sowie der generelle Prozess der Erstellung und des Review von OER-Materialien beschreiben.
Um eine OER-Policy wirksam zu implementieren, sind einige Rahmenbedingungen zu beachten:
- Copyright / Urheberrecht-Regelungen für die Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien während der Arbeitszeit / im Dienst
- Lehrverpflichtungen: Anrechnung von OER-Erstellung bzw. Wiederverwendung und Weiterentwicklung von OER
- Entschädigung für die Erstellung von OER
- Belohnung für die Nachnutzung und Weiterverwendung von OER
- IT-Support / E-Learning: Zugang zu Software für die Erstellung von OER und Zugang zu Speichermöglichkeiten für OER
- QS und Materialentwicklung: z.B. neue QS-Modelle für OER, Rechtsinformation, Copyright Clearance bestehender Materialien
- Einbettung in Lehr- oder Digitalisierungsstrategie der Hochschule
- Einbettung in der institutionellen Kultur
Anleitungen für die Erstellung einer OER-Policy
Die sieben Schritte des OER-Policy-Making-Prozesses
Guidelines on the development of open educational resources policies, UNESCO, 2019. Die Grafik steht unter CC-BY-SA 3.0 internationalen Lizenz.
Mit diesen Schritten lassen sich zentrale Hürden und Herausforderungen bearbeiten, von der Erarbeitung eines Verständnisse von OER im Kontext der Hochschule bis zur öffentlichkeitswirksamen Veröffentlichung der Policy.
Beispiele für OER-Policy
Bei meiner Recherche bin ich mithilfe der OER Policy Registry auf die Hochschule Reutlingen gestoßen, die als einer der ersten in Deutschland eine eigene OER-Policy veröffentlicht hat. An der Universität Passau gibt es eine OER-Policy für ein vom BMBF gefördertes Projekt.
Auf Twitter wurde mir von weiteren Hochschulen berichtet, die aktuell daran arbeiten.
Die Hochschule Reutlingen scheint die einzige (?) HS in Deutschland mit einer echten OER-Policy zu sein laut https://t.co/VXfZToe6kj. https://t.co/o3sRcNz9Pe
— markusmind (@mdeimann) February 25, 2021
Im deutschsprachigen Raum ist noch die TU Graz mit ihrer Richtlinie zu offenen Bildungsressourcen zu nennen.
International gibt es zahlreiche Hochschulen, die sich eine OER-Policy gegeben haben, etwa die University of Southampton, die auch ein eigenes Open Access & Institutional Repository aufgesetzt hat.
Categories: Open Education
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