Im letzten Beitrag hatte ich zum grundlegenden Rahmen, den ich für meinen Vortrag an der Goethe-Universität anlege, geschrieben.
Heute stelle ich meine Überlegungen zur Gliederung vor. Ich gehe von drei Teilen aus und versuche dabei vergangene und aktuelle Entwicklungen mit den Versprechungen der digitalen Bildung zu kontrastieren.
1. Vom E-Learning zur Digitalisierung der Hochschule
In dieser, aus heutiger Sicht Prä-Corona, Phase, die in den 1990er-Jahren begann, wurde viel Geld in die virtuelle Hochschule und multimediale Lehr- und Lernangebote investiert. Ich habe von 2001 bis 2004 in einem BMBF-geförderten Projekt zum multimedialen Fernstudium Medizin-Informatik gearbeitet und dabei erlebt, wie aufwendig die Bereitstellung eines digitalen Lehr- und Lernangebots ist. Typisch für diese Phase ist, dass E-Learning mit einem Mehrwert verbunden wurde, es also höhere Anforderungen an die Gestaltung aus didaktischer und/oder technischer Sicht im Vergleich zu traditionellen Materialien gab. Die Integration der multimedialen Angebote beschränkte sich auf wenige Fälle – für die es eine Förderung gab – und im Kern blieben die Hochschulen analog.
Zu dieser, hier nur kurz beschriebenen Phase, habe ich hier (S. 57-67) noch etwas mehr geschrieben.
Damals wurde ein Narrativ angelegt, das neue Medien (Multimedia, Telemedien) mit hohen Erwartungen für die Hochschullehre verknüpft. Durch eine Vielfalt medialer Nutzungsformen sollte sich die Lehre qualitativ verbessern. Den „Neuen Medien“ wurden „Mehrwerte“ zugeschrieben, die sich positiv auf das Lehren und Lernen auswirken würden. Tatsächlich blieben die Projekte hinter den Erwartungen zurück – ein Muster, das sich bei den späteren technologischen Innovationen wiederholen sollte.
In einer empirischen Studie während der frühen E-Learning-Phase, betitelt mit „Revolutionier das ‚E‘ die Lernszenarien an deutschen Hochschulen?“ [PDF] kommen die Autorinnen zu folgender Erkenntnis:
Multimediale Nutzungsformen, die eine anschauliche und interaktive Inhaltsvermittlung ermöglichen, haben gegenüber telemedialen Nutzungsformen, die dem Online Diskurs dienen, einen höheren Stellenwert. Die primär verwendeten darstellungsorientierten Methoden werden durch erarbeitende und explorative Verfahren ergänzt. Jedoch erscheint das methodisch-didaktische Potenzial digitaler Medien noch nicht voll ausgeschöpft. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die Hochschullehre im Rahmen der Förderprojekte in einem evolutionären Übergangsstadium befindet, in dem traditionelle und innovative Strukturen nebeneinander existieren.
Rinn, U., & Bett, K. (2004). Revolutioniert das“ E“ die Lernszenarien an deutschen Hochschulen? Eine empirische Studie im Rahmen des Bundesförderprogramms“ Neue Medien in der Bildung“. In D. Carstensen & B. Barrios (Hrsg.), Campus 2004. Kommen die digitalen Medien an den Hochschulen in die Jahre? (S. 428–437). Waxman.
Die Diagnose der nicht ausgeschöpften didaktischen Potenziale digitaler Medien war mehr oder weniger gültig bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie. Zwar gab es ab Mitte der 2010er Jahre einen Aufmerksamkeitsschub, insbesondere durch die Massive Open Online Courses (MOOCs), und aus E-Learning wurde die Digitalisierung der Hochschule. Viel wurde zu den angeblich revolutionären Kräften solcher digitalen Kurse geschrieben und gleich das Ende der Hochschule, so wir wie sie kennen, ausgerufen. Als Reaktion darauf wurde in Deutschland das Hochschulforum Digitalisierung ins Leben gerufen und beschäftigte sich in einer ersten Phase intensiv mit den Gefahren digitaler Angebote: Prototypisch für die damalige Diskurslage ist der Blogbeitrag The End of the World as we know it? Es handelte sich dabei allerdings um ein Nischen-Diskussion, die außerhalb eines kleinen Zirkels kaum auf Resonanz stieß. In der Studie Massive Open Online Courses after the Gold Rush: Internationale und nationale Entwicklungen und Zukunftsperspektiven stellen die Autor:innen fest, dass durch die deutsche Finanzierungsstrukturen MOOCs für Hochschulen nicht attraktiv sind als Einnahmequelle (ein zentrales Versprechen der digitalen Bildung).
Also keine Angst – die Welt der Hochschulen gab und gibt es weiter in physischen Gebäuden und mit den bekannten Präsenzformen wie der (Massen-)Vorlesung. Digitale Medien spiel(t)en hauptsächlich als „punktuelles Anreicherungskonzept“ eine Rolle.
2. Corona und die erzwungene Digitalisierung
Mit Corona kommt das Anreicherungsmodell ins Wanken, denn durch die Ausrufung der Pandemie im März 2020 waren die Hochschulen in Deutschland über Nacht dazu gezwungen, ihren Präsenzbetrieb komplett ein- und auf digitale Formate umzustellen. Angesicht der bisherigen Bemühungen zur Einführung digitaler Lehre wundert es nicht, dass die Medien von einer Herkulesaufgabe sprachen. Die Erwartungen waren nicht so hoch, tatsächlich funktionierte die Umstellung „überraschend gut“. Die Lehre konnte im Sommersemester 2020 wie geplant stattfinden, war jedoch mit erheblichen Mehraufwendungen für die Lehrenden und insbesondere für die Mitarbeiter:innen von Supporteinrichtungen an den Hochschulen verbunden. Dadurch wurden viele Lehrende in die Lage versetzt, digitale Medien so einzusetzen, dass es nicht nur die Fortführung der Präsenz mit digitalen Mitteln bedeutet.
Lehrende und Studierende lernten so die Versprechungen der digitalen Bildung kennen, dank der an den Hochschulen vorhandenen technischen Strukturen (z.B. Learning Management Systeme oder Videoportale für Vorlesungsaufzeichnungen) sowie des E-Learning-Supports. Allerdings war dies nicht auf die Masse ausgerichtet, der sich durch die Pandemie ergab. So mussten sehr rasch Video-Konferenzsysteme wie Zoom angeschafft werden, die auch dank der Möglichkeiten wie Breakout-Rooms oder Umfragen gerne genutzt wurden.
3. Post-Corona: Hybride Lehre
Sobald die Pandemie überwunden ist, wünschen sich die Hochschulen mehrheitlich eine Rückkehr zur Präsenz, wollen aber nicht ganz auf die Vorzüge der digitalen Medien verzichten. Es gilt „irgendwie“ beides zu verknüpfen. Doch wie genau das aussehen soll, ist noch unklar. So bleiben auch die Hochschulen, die sich aktuell im dritten „Corona-Semester“ befinden, in der gesellschaftlichen Diskussion über Öffnung außen vor und viele Studierende haben den Online-Blues. Dagegen scheint sich kaum Protest zu regen, von einzelnen Initiativen wie Präsenzlehre-Berlin einmal abgesehen. Mitte April 2021 sah sich Bundespräsident Steinmeier angesichts der unbefriedigenden Situation für Studierende diese in einer Rede in der Staatsbibliothek direkt zu adressieren. Er sprach davon, dass nun viele auf der Lebens- und Karrieretreppe festsitzen würden – es also mit dem Versprechen der (digitalen) Bildung nach Aufstieg gerade schlecht bestellt ist.
Zeit also, die Versprechungen genauer unter die Lupe zu nehmen und neu zu bewerten.
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