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Open Educational Resources – eine kritische Einordnung

Auf Einladung des Projekts digiLLM – Digital Living Learning Materials – habe ich an der Universität Bielefeld zu Open Educational Resources (OER) gesprochen und mich an einer kritischen Einordnung versucht.

tl;dr 

Worum geht es in meinem Vortrag?

Kurze Ideengeschichte von Open Education

Open Educational Resources sind als Begriff vor etwas über zwanzig Jahren entstanden, zu einer Zeit als es unmöglich schien, mit Content kein Geld verdienen zu wollen. Es war die Zeit der Dot-Com-Blase und das Internet bot neue Geschäftsfelder – auch für den Hochschulbereich. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) ging einen neuen, für damalige Verhältnisse höchst ungewöhnlichen Weg und stellte einen Großteil seiner Bildungsmaterialien frei, d.h. umsonst ins Netz. Diesem Schritt schlossen sich weitere Einrichtungen, Projekte und Einzelpersonen an und das OpenCourseWare-Portal war geboren. Dafür wichtig war die Etablierung eines neuen Lizenzmodells (CreativeCommons), das es erlaubte, geistige Produkte zur freien Nutzung zu stellen und gleichzeitig das Urheberrecht zu wahren.

OER lassen sich in eine längere (evolutionäre) Entwicklung von Versuchen, Bildungsangebote durch technologische oder administrativ-politische Maßnahmen zu öffnen, einordnen. Eine wichtige Rolle spielten Open Universities, wie die OUUK, die 1969 startete und Menschen unabhängig von bisherigen Bildungsabschlüssen Zugang zu akademischer Bildung bot. Auch die FernUniversität in Hagen, die dieses Jahr ihren 50. Geburtstag feiert, lässt sich, wenn auch mit Einschränkungen, hier einordnen.

Mit den technologischen Entwicklungen, insbesondere ab den 1990er-Jahren, entstanden weitere Ansätze, Hürden abzubauen, so etwa im Bereich Open-Source-Software. Das weltweit verbreitete Learning-Management-System Moodle baut beispielsweise auch auf Open Source auf.

Dass Lernen im Internet gänzlich anders sein kann, als das Lernen an einer (Hoch-)Schule oder Weiterbildungseinrichtung zeigten die konnektivistischen Massive Open Online Courses (cMOOCs) ab 2008. Allerdings waren diese nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt und verschreckten durch ihre radikale Offenheit konventionelle Lernende. Das änderte sich fundamental mit einer anderen MOOC-Form, die ab 2011 für Furore und riesige Aufmerksamkeit sorgte und 2012, laut New York Times, das Year of the MOOC begründete. Das Interesse von Investoren wurde geweckt und es entstanden privat finanzierte Plattformen, die versuchten mit kostenlosen Bildungsangeboten Geld zu verdienen – was nicht allen gelang. Zuletzt wurde beispielsweise die vom MIT aufgebaute edX-MOOC-Plattform von 2U übernommen und markierte das Ende einer Ära offener Angebote.

Eine zusammenfassende Darstellung der Open-Education-Entwicklung bis 2013 zeigt diese Abbildung (Quelle: Sabadie, J. M. A., Muñoz, J. C., Punie, Y., Redecker, C., & Vuorikari, R. (2014). OER: A European policy perspective. Journal of Interactive Media in Education, 2014(1), 5. https://doi.org/10.5334/2014-05.)

Der Open-Education-Diskurs

Das Sprechen über Open Education lässt sich grob vereinfacht auf drei Ebenen verorten (normativ, technisch-juristisch und praktisch). Auf der normativen Ebene stehen die offiziellen Verlautbarungen der UNESCO, die mit Open Education normative Ziele verbinden, wie etwa Aufbau (und Weiterentwicklung) von offenen, inklusiven und partizipativen Wissensgesellschaften. Hier gibt es eine interessante Verbindungslinie zu den frühen Internet-Utopien wie etwa die Declaration of the Independence of the Cyberspace aus dem Jahr 1996. Das Internet verkörperte und erfüllte das liberale Versprechen einer Welt ohne Krieg und Wirtschaftskrise und prägte neue Formen der „horizontalen, koordinierten und interdependenten Wissensarbeit“(Bory, 2020), wie z.B. bei der Wikipedia oder im Zusammenhang mit den Werkzeugen des sog. Web 2.0.

Das Netz fungiert in der Open-Education-Vision als große Egalisierungsmaschine und beseitigt soziale und ökonomische Ungleichheiten. Bildung wird beschränkt sich hier auf die Angebotsseite, während die kulturellen und sozialen Kontexte der einzelnen Lernende ausgeblendet werden.

Ein weiterer wichtiger Diskurs betrifft OER als Teil einer globalen Wissensökonomie. Durch die Abkehr von der Industrie als dominante Wirtschaftsform und dem Aufbau von Wissens- und Dienstleistungsberufen steigt der Bedarf an qualitativ hochwertiger Bildung für die Gesellschaft. OER ist in diesem Zusammenhang attraktiv, da es Kosten spart und über das Internet leicht verbreitet werden kann. Zudem können OER an die eigene Bedarfe angepasst werden, was hilft Bildungssysteme effizienter zu machen.

Schließlich lässt sich OER als Teil eines reformierten Bildungssystems auf der Diskursebene identifizieren. Sowohl die mit OER verknüpften Ideale (Kultur des Teilens, freier Zugang zu Wissen) als auch die digitalen Technologien, die für die Erstellung und Verbreitung von OER zum Einsatz kommen, sind Treiber für die Innovation von Bildungssystemen.

Angesichts dieser Fülle von Herausforderungen sehe ich eine Gefahr der Selbstüberforderung. Dies war beispielsweise bei der OER24-Konferenz in Cork zu erkennen, als neben sozialer Ungleichheit, akademischer Prekarisierung auch die Gefahren von Naturkatastrophen benannt wurden.

Offene Baustellen

OER und Open Education werden nach wie vor mehrheitlich auf einer abstrakten, normativen Ebene verhandelt. es dominieren die Versprechen für mehr Bildungsgerechtigkeit durch bessere Zugänglichkeit und weniger Kosten, wohingegen die konkrete Umsetzung mit den Fort- und Rückschritten noch zu wenig diskutiert wird. So gibt es zwar erfreulicherweise mittlerweile eine ganze Reihe von OER-Policy an deutschsprachigen Hochschulen, doch sind diese oft zurückhaltend und vorsichtig formuliert. Wenn Hochschulen ihr Bekenntnis zur OER ernst nehmen, wäre eine breitere Debatte zu den Umsetzungsmöglichkeiten notwendig, damit die oft zitierte „Kultur des Teilens“ auch im Lehralltag ankommt. Eine Möglichkeit wäre die Anrechenbarkeit von mit der Erstellung, Überarbeitung und Nutzung von OER verbundenen Aufwänden auf das Lehrdeputat. So hätten Lehrende einen Anreiz, sich für OER zu engagieren.

Auf der technischen Ebene ist die Arbeit an einer OER-freundlichen Infrastruktur wichtig, um z.B. Learning Management Systemen an OER-Portale zu koppeln.

Categories: Open Education

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