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Mit dem Titel (siehe dazu auch diesen Post) werfe ich zunächst eine Frage auf, nämlich zum Gegenstand „Digitale Bildung“. Ich möchte im ersten Teil meines Vortrags auf eine Eingrenzung und Einordnung eingehen. Im zweiten Teil werde ich dann diskutieren, wie mit der Covid-19 Pandemie ein Digitalisierungsschub eingesetzt hat und wie dadurch eine digitale Bildung entstehen kann, die zeitgemäß, partizipativ und kreativ wird.
Beginnen wir nun also mit dem ersten Teil, der Gegenstandsbestimmung von digitaler Bildung. Ich unterscheide dazu drei Aspekte:
- Bildung, Pädagogik und Lernen
- Technologien, Software und Geräte
- Das komplexe Zusammenspiel der beiden Elemente
Es geht dabei um Theorie (aus der Bildungswissenschaft), Praxis (in Schule, Hochschule und Weiterbildung und Gesellschaft. Mit diesen drei Perspektiven lässt sich digitale Bildung jeweils auf eine bestimmte Weise einordnen. Ich werde diese Perspektiven nacheinander vorstellen, so dass wir dadurch auch Überschneidungen und Unterschiede erkennen können.
Die erste Perspektive ist die Theorie zu digitaler Bildung. Dabei möchte ich mich auf die Medienbildung beziehen. Dieser Begriff hat sich seit einigen Jahren etabliert im Versuch, den engen Fokus von Medienkompetenz zu überwinden.
Mit Medienbildung gemeint sind zwei Dinge: Bildung mit Medien, d.h. der Einsatz von allem möglichen Medien beim Lehren und Lernen. Es müssen nicht immer und ausschließlich digitale Medien sein, auch analoge Medien haben weiterhin ihren Wert. Digitale Medien erweitern die Möglichkeiten und bieten mehr Flexibilisierung und Individualisierung. Es geht und das ist mir wichtig zu betonen, nicht um digitale Medien gegen analoge auszuspielen, im Sinne von digital ist immer besser (oder umgekehrt). Vielmehr geht es darum, für bestimmte Lern- und Bildungsziele ein Arrangement an Medien (analog und digital) einzusetzen und das auch zu reflektieren. Wir sollten uns klar machen, mit welchen Erwartungen wir Medien beim Lehren und Lernen einsetzen. In der Hochschule ist beispielsweise immer noch die Vorlesung beliebt. Ein Format, bei dem ein Mensch über 90 Minuten einer großen Anzahl von Personen etwas vorträgt – am Stück und ohne Pause. Es gibt keine Möglchkeiten, zwischendurch Fragen zu stellen oder Gruppenarbeiten zu machen. Die Vorlesung stamm aus einer Zeit, zu der es wenig Medien zur Informationsübermittlung gab. Heute ist das anders.
Medienbildung ist aber auch Bildung über Medien. Hier geht es um das tiefere Verständnis darüber, wie Medien funktionieren und wie damit Informationen übertragen und Meinungen vermittelt werden. Wir konnten beim US-Präsidentschaftswahlkamp 2016 sehen, wie groß der Einfluss von Social Media Anbietern wie Facebook geworden ist. Auch Verschwörungstheorien, Hassbotschaften und Fake News verbreiten sich immer mehr über das Internet. Wie das genau funktioniert und welche Rolle Technologie und Ökonomie dabei spielen, ist in der Gesellschaft nicht ausreichend genug verbreitet.
Durch das tiefere Verständis über die Medien und die Digitalisierung insgesamt, erweitern wir unser Weltbild. Wir beginnen die Dinge anders zu sehen. Das ist, was mit Bildung im eigentlichen Sinn gemeint ist. Es ist mehr als Lernen und Kompetenzerwerb, es ist die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit im Sinn der Tradition der Auflärung. Die digitalen Medien bieten dazu vielfältige Möglichkeiten, es lauern aber auch neue Gefahren. Aktuell sehen wir im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Einschränkungen durch Corona, wie sich Menschen radikalisieren und ihren Horizont nicht erweitern, sondern stark verengen.
Ich möchte nun zur zweiten Perspektive kommen: die Praxis. In Schule, Hochschule und der Weiterbildung werden schon immer Medien und Technologien eingesetzt. Damit lassen sich Informationen vermitteln und der Aufbau von Wissen unterstützen. Medien und Technologien sind also Mittel und Instrument zu einem Zweck. Egal welche Medien auch verfügbar waren und sind, das Lehren und Lernen blieb über die Jahre weitgehend stabil. Die Rolle der Medien als Vermittler bleibt gleich. Schule und Hochschule haben eine starke Machtposition, die Rollen von Lehrenden und Lernenden und die Formate von Unterricht und Seminar veränderten sich während der letzten Jahrhunderte kaum. Mit der Digitalisierung beginnt sich das langsam zu ändern. Darauf werde ich später noch eingehen im Zusammenhang mit Covid-19.
Davor gehe ich noch auf die dritte Perspektive ein: wie wir als Gesellschaft mit Technologien und der Digitisierung umgehen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs spielt der Computer eine herausragende Stellung und ist untrennbar mit unserer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft und dem Aufstieg der Industrie verbunden. Der Computer und später das Internet waren mit großen Hoffnungen auf gesellschaftlichen Fortschritt verbunden. So wählte das Time Magazin den PC 1982 zum „Man of the Year“ und 1997 schlug der von IBM entwickelte Supercomputer Deep Blue den Schachweltmeister Kasparov. Ab den 2000er-Jahren traten mit Google/ Alphabet, Facebook und Amazon Konzerne aus dem Silicon Valley auf die Weltbühne, die das Internet nachhaltig veränderten und neue kulturelle Praktiken prägten. Es entstanden mit dem Plattform-Kapitalismus neue ökonomische Modelle mit weitreichenden sozialen und politischen Konsequenzen. Das Silicon Valley gilt durch seine vielen Innovationen und technischen Neuerungen als Vorbild der digitalen Gesellschaft. Dabei wird gern übersehen, dass es eine kleine Elite ist, die durch glückliche Umstände zu viel Geld gekommen sind. Der offen zur Schau gestellte Wille zur Weltveränderung beruht auf einem libertären Gesellschaftsmodell. Die sogenannte Kalifornische Ideologie beruht im Kern auf einer merkwürdigen Mischung aus Hippie-Denken und radikalem Kapitalismus. Zusammengehalten werden die beiden Lager (Hippies und Entrepreneure) durch den Glauben an das emanzipatorische Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien. Auch wenn die Vordenker*innen aus dem Silicon Valley das angers sehen, es gibt Alternativen, wie die digitale Gesellschaft gedacht werden kann.
Ich komme nun zurück auf die digitale Bildung und versuche aufzuzeigen, wie die drei gerade vorgestellten Perspektiven unsere Vorstellungen prägen. Prägend ist ein Fokus auf Geräte und Technologien, verbunden mit der Hoffnung, dass mit besseren digitalen Angeboten sich auch das Lernen verbessert. Hier finden wir Anleihen bei der Kalifornischen Ideologie, die wiederum vom Ed-Tech-Markt aufgegriffen und in maßgeschneiderte Produkte übersetzt wird. Maßgebend dafür sind allerdings die grundlegenden Strukturen und Regularien von Schule und Hochschule. Virtuelles Klassenzimmer oder Learning Management Systeme zeigen auf, dass solch ein digitales Lernen darauf abzielt, das Lernen zu digitalisieren und nicht Lernen und Lehren unter den Bedingungen der Digitalität neu zu denken. So wurden in Schule auch gerne Handys verboten aus Angst vor einem Kontrollverlust. Wenn es mal zu Innovationen kommt, wie zum Beispiel mit Inverted / Flipped Classroom, so läuft das in einer Nische ab und schafft es nicht sich flächendeckend zu verbreiten.
Demgegenüber steht eine Vision und Idee von digitaler Bildung, die sich an der Medien-Bildungstheorie orientiert und Partizipation, Co-Kreation und experimentellen und kreativen Umgang mit Medien fordert. Die Wirkungen der Medien auf uns und die Gesellschaft können nur gemeinsam reflektiert werden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Hintergründen der Digitalisierung, also ein Gang in den Maschinenraum und in die Schaltzentrale. Wir müssen aus soziologischer und pädagogischer Sicht verstehen, wie technologische Entwicklungen zustande kommen und welche Reichweite sie haben. Da dadurch neue kulturelle Praktiken entstehen und die Art, wie Kultur ermöglicht und vermittelt wird, sich ständig ändert, braucht es eine neue Kulturtechnik. Es gibt verschiedene Begriffe dafür wie digitale Literalität oder Digital Literacy. Gemeinsam ist ihnen der Versuch, alte Kulturtechniken im Zusammenhang mit der Digitalisierung neu zu deuten und zu denken. Dabei spielen vier Aspekte eine Rolle (Krämer, 2018): Verdatung, Einsatz algorithmischer Verfahren, Visualisierung der Analyseergebnisse, Neuigkeitswert. Darauf kann ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen.
Wir schauen uns nun das eigenen Medienhandeln und die Mediennutzung beim Lernen und im Alltag an. Dazu habe ich hier ein Padlet zum Kommentieren vorbereitet.
Ich komme nun auf die eigentliche These meines Vortrags und der Frage, inwieweit COVID-19 als Katalysator für digitale Bildung wirkt. Als unmittelbare Reaktion auf die Krise wurde Unterricht und Lehre komplett von der Präsenzform auf digitale Formate umgelegt. Jede*r konnte eigene Erfahrungen machen und dadurch entsteht eine neue Ausgangslage für Diskussionen. Das Vorgehen beim Leitmedienwechsel (analog –> digital) orientiert sich am eigenen Repertoire didaktischer Konzepte und diente als Blaupause für die Auswahl technischer Angebote. So wurden beispielsweise Video-Konferenzen für synchrone Formate eingesetzt. Dass dies nicht unbedingt die beste Lösung ist und zu Irritationen bei den Lehrenden führte, war am Beispiel der ausgeschalteten Kameras bei Studierenden zu sehen („Generation Unsichtbar„). Hier fehlen noch kulturelle Praktiken. Insgesamt waren die Bewertungen der Krisenintervention durchweg positiv: „Es lief erstaunlich gut“.
Wir können daraus folgende, vorläufigen Lerneffekte ziehen. Zunächst ist Digitalisierung keine Zauberkunst, die nur von wenigen – vornehmlich aus dem Silicon Valley – beherrschbar ist. Mit den vielfältigen Erfahrungen, die Lehrende und Lernende nun gemacht haben, ist eine andere Diskussion möglich. Die vielgeprießene Gestaltung der Digitalisierung durch viele gesellschaftliche Gruppen rückt näher. Aber wird dürfen auch nicht vergessen, dass der hautpsächliche Treiber bei der Umstellung die Krisenintervention und nicht pädagogische Überlegungen waren. Nach dem ersten Schock, sind wir nun in einer Phase der Normalisierung. Oft wird diese Phase als „New Normal“ bezeichnet und deutet an, dass nun anders gelernt und gelehrt werden kann. Es können sich neue Gruppe als die üblichen Verdächtigen mit Ideen und Konzepten einbringen. Ich sehe hier die Maker-Bewegung unmittelbar angesprochen als Impulsgeber für die neue Normalität. Denn bei der Maker-Bewegung kommt ein Denken zum Vorschein, dass analoge und digitale Medien nicht gegeneinander auspielt („digital ist besser“), sondern gleichberechtigt für pädagogische Kontexte definiert. Wir können bei der Maker-Bewegung auch sehen, wie soziale und technologische Innovationen zusammengebracht werden können, was die Verankerung in der Gesellschaft erhöht.
Daran knüpfen wir mit dem Gedankenspiel „die Bildung hacken“ an und diskutieren gemeinsam Ideen.
Categories: Maker Week 2020
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